Neues
Deutschland
61.
Jahrgang, Nr. 231 - Berlin-Ausgabe, 04.10.2006
Abschrift
aus Seite 13
Liebenswürdige Miniaturen
Gehörlose engagieren
sich im Gestischen Theater Berlin und brauchen mit ihren Darbietungen
den internationalen Vergleich nicht zu scheuen.
Von Volkmar Draeger
Den kleinen Begebenheiten am Rand des Alltags entnimmt das
Gestische Theater Berlin seine Themen. Als gemeinnütziger
Verein existiert es seit sechs Jahren. Aus der Ukraine, aus
Griechenland, Italien, Tschechien und aus Deutschland kommen
die neun Spieler, sind schwerhörig oder gehörlos.
Von der Gebärdensprache her, mit der sie kommunizieren,
finden sie Zugang zu Pantomime und Tanz als ganzkörperlichem
Ausdruck. Das kleine Ensemble braucht mit seinem Programmen
den Vergleich nicht zu scheuen, räumte beim Internationalen
Pantomimenfestival in Brno gehörig ab: 1. und 2. Hauptpreis
sowie Preis für Janni Bacharis als bester männlicher
Darsteller.
Auf einer dreiwöchigen Tournee durch sechs Städte
Japans erreichte es mehr als 6000 Zuschauer. Für Ingo
Müller, den künstlerischen Leiter, bedeutet das
Bestätigung seines Weges. "Der Mantel", "Monster-Moden-Show",
"Der Postmeister", "Spiel der Sinne heißen
die erfolgreichsten Produktionen. Mit "The best of",
einem zweistündigen Mix aus Miniaturen und Stückausschnitten,
präsentiert sich die dem Bundesverband der Gehörlosen
angeschlossene Gruppe derzeit im ersten Stock des frannz club
in der Kulturbrauerei.
Selbstbewusst und ansteckend spielfreudig artikulieren sich
sieben Darsteller in liebenswert gutmütigen, biedermeierlich
betulichen Szenen mit frohem Ende.
In "Japanische Impressionen", einer Tourneereminiszenz,
wieselt ein Bauer übers Feld, jätet, hackt, planzt
Reis. Als er sich in eine Geisha verliebt, stockt verträumt
sein Fleiß. Die Angebetete und ihre Mutter können
ihn rechtzeitig den Peitschenhieben des kantigen Aufsehers
entreißen, versöhnt tanzen alle dem Happy End entgegen.
"Der Schrank", ein Türen schwenkender Mann
mit herrlichen Blinkeraugen, wird zum menschlichen Begleiter
einer Frau auf ihrem Lebensweg. Verspieltes Baby, räkelnder
Teenager, liebende Mutter, zitternde Greisin finden in dem
Möbel, was sie für den Tag brauchen. Für den
Enkel wird das ramponierte Behältnis repariert, der Kreislauf
mit dem Schrank des Lebens beginnt von neuem.
In "Solo zu dritt" fördern zwei Matrosen per
Seil eine trippelnde Schönheit zutage. Wer am Ende an
wessen Seil hängt, dürfte klar sein. Im "Russischen
Tanz" aus "Der Postmeister" rivalisieren zu
Balalaikaklang zwei Burschen mit Folklorezitaten um zwei Schönheiten.
In "Bilderausstellung" darf Janni Bacharis - flugs
für neue Rollen umgekleidet - als blondgezopftes Mädchen,
als behüteter Alter, als zackiger General, als bebrillter
Lehrer und als tumber Einbrecher solistisch brillieren. Er
zeigt sich clownesk naiv, beredt im Ausdruck und variant in
den Mitteln.
Klarer, gestisch sparsamer zu formen wäre manche Szene,
besonders aber "Die Schaufensterpuppe" als längster
Beitrag und Finale.
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Wieder am 27.10., frannz club, Sredzkistraße/Ecke Schönhauser
Allee, Prenzlauer Berg, Karten-Telefon 4428585, Infos im Internet
unter der Adresse www.gestisches-theater-berlin.de
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